Energie & Wasser

Die Bilanz nach der Flut: Dr. Ulrik Dietzler im Interview

06.08.2021
Lesezeit: 7 min.

Die Energieversorgung Leverkusen (EVL) war während des Hochwassers im Dauereinsatz, denn tausende Haushalte waren ohne Strom. Auch nach der Flut bleibt viel für die EVL zu tun – der verursachte Schaden ist enorm. Im Interview erzählt der technische Geschäftsführer Dr. Ulrik Dietzler, welche Auswirkungen die Flutkatastrophe auf das Leverkusener Stromnetz hatte und welche Lehren die EVL aus dem Ereignis zieht.

Am Tag des Unwetters (Mittwoch, 14.7.) hat es pausenlos durchgeregnet. Wie haben Sie den Starkregen ganz persönlich wahrgenommen?

Dr. Dietzler: Ich saß an dem Tag fast die ganze Zeit an meinem Rechner und habe die Wassermassen gar nicht richtig realisiert. Ich habe zwar gesehen, es ist grau und dunkel und ich wusste auch, dass starker Regen angesagt ist. Aber ich dachte, es fallen vielleicht ein paar Äste in die Freileitungen, so wie es sonst bei Unwettern üblich ist. Aber das so etwas passiert, damit habe ich nicht gerechnet.

Nachmittags gegen 17:00 Uhr habe ich dann einen Anruf vom Oberbürgermeister erhalten, dass die Stadt den Krisenstab einberuft. Wir haben unseren Ingenieur vom Dienst dann sofort dorthin geschickt. Ich habe eine Zeit lang auch noch gut per Handy mit ihm kommunizieren können aber gegen 22:30 Uhr brach die Handyverbindung weg. Circa um 23:30 Uhr konnten wir nochmal sprechen, aber dann war auch bei mir zu Hause der Strom weg.

Was genau ist durch das Unwetter im Stromnetz zu Schaden gekommen?

Dr. Dietzler: Es ist so, dass sich Wasser und Strom nicht besonders gut vertragen, denn Wasser ist ein guter Leiter. Wenn spannungsführende Teile überflutet oder benässt werden, ist die Gefahr eines Kurzschlusses groß. Dann fliegen die Sicherungen raus. Die Sicherungen haben nicht nur in der Niederspannung ausgelöst, sondern auch in der Mittelspannung. Die Mittelspannung ist sowas wie die Stromautobahn für uns.

Es ging also darum, dass wir stromseitig zunächst das Mittelspannungsnetz wieder stabil hinbekommen. Dazu mussten die Mittelspannungsstationen erst so trocken sein, dass wir ohne Gefahr wieder zuschalten können. Wir haben allerdings auch ein paar Schalthäuser sowie Netzstationen, die in Kellern liegen und die waren wirklich kritisch. Das war in Opladen bei mehr als einer Station der Fall. Erst, als das Wasser dort weg war, konnten wir diesen Mittelspannungsstrang wieder zuschalten.

Und hinter der Mittelspannung hängt dann die Niederspannung – das, was aus der Steckdose kommt. Dort haben wir das gleiche Thema: Auch dort muss es trocken sein. Das sind nicht nur unsere Verteilerkästen, die grauen Kästen in den Straßen und die Hausanschlusskästen in den Häusern, sondern das ist auch die Niederspannungsverteilung im Haus. Und das war das Problem. Wir waren relativ schnell so weit, dass zur Not die Sicherung aus den nassen Hausanschlusskästen rausgenommen wurde. So konnten wir das Netz wieder zuschalten, um die Häuser, in denen die Hausverteilung trocken war, wieder mit Strom zu versorgen. Aber dort, wo es eben nicht trocken war, musste erst der Elektroinstallateur die Hausanlage überprüfen, trocknen und vielleicht sogar in Teilen neu aufbauen.

Auch die Installateure des örtlichen Handwerks haben einen großartigen Job geleistet!

Dr. Ulrik Dietzler, technischer Geschäftsführer der EVL

Wo lagen die Schwierigkeiten bei der Wiederversorgung?

Dr. Dietzler: Das Problem bestand unter anderem auch darin, die einzelnen Haushalte provisorisch mit Strom zu versorgen, um das Wasser in den Kellern abpumpen zu können. Also haben wir an der einen oder anderen Stelle, auf Vorschlag unserer Leute draußen, recht unkonventionelle Lösungen gefunden. Zum Beispiel wurden an einer trockenen Station Baustromverteiler aufgestellt und von da aus eine provisorische Stromversorgung aufgebaut, damit die Menschen beispielsweise ihre Pumpen anschließen konnten.

Wie viele Stationen und Hausanschlüsse waren insgesamt betroffen?

Dr. Dietzler: Mit Leichlingen zusammen waren rund 100 Mittelspannungsstationen betroffen. Außerdem mussten wir circa 5.000 Hausanschlüsse überprüfen, die mindestens einmal von uns begangen wurden. Jetzt, im Zuge der Überprüfung der Gasregler, werden sie ein weiteres Mal begangen. Der überflutete Gasregler muss ausgetauscht werden, Gaszähler auch. Deswegen sind die Ausgaben, die auf uns zukommen, im Gasbereich wahrscheinlich höher, als im Strom.

Kaum zu übersehen: In den zwei Kompaktstationen hat es ordentlich gebrutzelt. Sie wurden durch das Hochwasser gänzlich zerstört.

Lässt sich der Gesamtschaden schon in Euro beziffern?

Dr. Dietzler: Ich schätze mal, dass wir in Leverkusen beim Strom und Gas bei fast drei Millionen Euro liegen, was momentan noch eine grobe Schätzung ist. Das kann auch deutlich nach oben gehen – mit ein bisschen Glück geht es auch nach unten. In der Wärme und im Wasser sind wir schätzungsweise – wenn wir Glück haben – mit ungefähr 900.000 Euro dabei. In der Wärme und im Wasser entstanden die Schäden vor allem durch vollgelaufene Schächte. Außerdem müssen gegebenenfalls Wasserzähler ausgetauscht werden. Druckerhöhungs- sowie Verteilungsanlagen sind auch betroffen.

Auch dieser Trafo ist den Fluten zum Opfer gefallen.

Wo waren die Schwerpunkte unserer Arbeit und wie viele Leute waren von der EVL im Einsatz?

Dr. Dietzler: Wenn wir Strom wieder zuschalten wollen, müssen wir dafür sorgen, dass das Wasser weg ist. Wir mussten daher der Physik folgen. So wie das Wasser gekommen ist – erst Alkenrath und Schlebusch, dann Opladen und Leichlingen – floss es auch wieder ab.

Das Prinzip „Der Physik folgen“ hat uns auch geholfen, unsere Ressourcen sauber zuzuordnen, denn unsere Mitarbeiter können wir ja nicht aufteilen. In Leichlingen hatten wir das riesige Glück, dass die Kollegen und eine Kollegin von der MEGA uns unterstützt haben. Leichlingen war deutlich heftiger betroffen als Leverkusen. Von den 5.000 Hausanschlüssen sind fast 3.000 in Leichlingen gewesen.

In Summe waren fast 150 Leute im Einsatz und die Zahl der Stunden, die Einzelne am Stück geleistet haben, war enorm. Einige sind früher aus dem Urlaub zurückgekommen oder haben schon deutlich vor Schichtbeginn mit dem Dienst angefangen – wir haben in zwei Schichten gearbeitet. Mir ging das teilweise auch zu weit, weil ich mir Sorgen um meine Mitarbeitenden machte.

Drei Wochen nach dem Unwetter – Wo stehen wir heute und wie bereitet sich die EVL auf zukünftige Extremwetterereignisse vor?

Dr. Dietzler: Im Strom besteht jetzt die Frage, wie wir die Stationen erneuern, die nicht bloß mit Trocknen und Reinigen wieder ans Netz gehen können.

Wichtig ist, dass wir, wo wir ohnehin schon an die Betriebsmittel dran müssen, diese nicht 1:1 ersetzen. Wir werden genau hingucken, wo es Sinn macht vielleicht einen anderen Standort auswählen, um die Technik möglichst krisensicher zu platzieren und Risiken auszuschließen. „Möglichst krisensicher“ bedeutet: Alle möglichen Einwirkungen von außen zu berücksichtigen. Die Kellerstationen in Opladen, von denen ich eingangs gesprochen habe, möchten wir beispielsweise nach Möglichkeit nicht mehr dort haben. Wir möchten dieses Risiko nicht mehr eingehen – denn wer weiß, wann der nächste starke Regen kommt. Eine weitere Option besteht darin, dort wo es geht, mit einer anderen Technik zu arbeiten, um die Auswirkung eines weiteren Ereignisses dieses Ausmaßes möglichst klein zu halten.

Wir sind außerdem ein TSM zertifiziertes Unternehmen. Und das aus gutem Grund: Denn wir wollten überprüfen lassen, ob unsere Prozesse – auch im Bereich Notfall- und Krisenmanagement – vernünftig sind. Mit dem TSM-Zertifikat haben wir praktisch einen Stempel darauf erhalten.

Welche Lehren hat die EVL aus der Flutkatastrophe bisher gezogen?

Dr. Dietzler: Wir haben bereits erste Gespräche geführt, was wir in unserer Krisenarbeit verändern oder verbessern müssen. Aber ich möchte, dass wir ein bisschen Zeit verstreichen lassen, damit uns bewusst wird, was wirklich kritisch ist oder was mitunter nur dem Nerv geschuldet war – denn so ruhig und verständnisvoll unsere Mitarbeitenden den Menschen vor Ort gegenüber aufgetreten sind, intern standen wir doch sehr unter Druck.

Wir werden uns außerdem auch noch mit der Feuerwehr zusammensetzen, weil die Feuerwehr aufgrund ihrer Struktur, Ausbildung und Erfahrung Profi für Extremsituationen und Krisenmanagement ist – wenngleich diese Krise auch für die Feuerwehr ganz neue Dimensionen angenommen hat.

Was liegt Ihnen noch auf dem Herzen?

Dr. Dietzler: Ich finde es wirklich wichtig, dass wir neben dem Dank an unsere eigenen Leute und an alle Hilfskräfte auch für die Gruppe der Handwerker nochmal ein dickes Dankeschön aussprechen, denn auch die Tiefbauer, Elektro- und Sanitärbetriebe haben alles gegeben, um die Bevölkerung schnellstmöglich wieder zu versorgen.