Energie & Wasser

Interview: „Jeder Kunde wird eine warme Wohnung haben“

11.03.2022
Lesezeit: 6 min.

Der Krieg in der Ukraine wirft bei den Kundinnen und Kunden der Energieversorgung Leverkusen GmbH & Co. KG (EVL) viele Fragen zur Sicherheit der Energieversorgung und zur Preisentwicklung auf. Die EVL-Geschäftsführer Thomas Eimermacher und Dr. Ulrik Dietzler erklären im Interview, auf was sich Leverkusen kurz- und langfristig einstellen muss. Im ausgehenden Winter rechnen beide weder mit Lieferengpässen noch mit Preissteigerungen.

Herr Dr. Dietzler, mit Blick auf den Krieg in der Ukraine: Wie sicher ist unsere Gas- und Wärmeversorgung in Leverkusen noch?

Dr. Ulrik Dietzler: Kurzfristig betrachtet kann die EVL allen Kundinnen und Kunden zusichern, dass in diesem ausgehenden Winter jeder Gas- und Fernwärmekunde eine warme Wohnung haben wird. Das auch in ganz Deutschland. Zumal Russland auch zwei Wochen nach Beginn des Kriegs in der Ukraine weiter Gas nach Europa liefert. Hinzu kommt eine sehr gute Gasspeicher-Infrastruktur in Deutschland sowie das sogenannte europäische Gas-Verbundnetz, das den innereuropäischen Gas-Austausch ermöglicht und in den vergangenen Jahren immer stärker ausgebaut worden ist. Gegen die Versorgungssicherheit würde allerdings wirken, wenn die Bezüge des Erdgases nicht von russischer Seite unterbrochen werden, sondern die Bundesregierung Forderungen nach einem Importstopp nachkommt.

Die EVL-Geschäftsführer Thomas Eimermacher (li.) und Dr. Ulrik Dietzler ordnen im Interview die aktuelle Lage ein.

Was passiert im nächsten Winter, falls kein Gas mehr aus Russland kommen sollte?

Dr. Dietzler: Ein kleiner regionaler Vorteil ist, dass wir in Leverkusen zurzeit noch das sogenannte L-Gas aus den Niederlanden bekommen. Die niederländischen Vorräte sind aber endlich, deshalb sind ja auch die Vorbereitungen zur Erdgasumstellung ebenfalls in Leverkusen angelaufen. Ab 2024 fließt dann das H-Gas mit den heutigen Bezugsquellen Russland, Norwegen und Großbritannien durch das Leitungsnetz in der Stadt. Zudem kann L-Gas auch in H-Gas konvertiert werden, sodass im Notfall sicherlich Mengen in das H-Gas-Netz abfließen würden.

Grundsätzlich haben wir in Europa aber Sicherungsmechanismen, die in einer Engpasssituation wie bei einem Lieferstopp greifen. In jedem Fall sind Haushaltskunden und Einrichtungen, wie beispielsweise Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen wie dem Nationalen Notfallplan Gas in solchen Ausnahmesituationen besonders geschützt. Der Erdgasverbrauch würde durch vertraglich geregelte Abschalt-Vereinbarungen mit der Industrie gedrosselt. Das Abschalten der „nicht geschützten Kunden“ und deren Wechsel auf andere Energieträger hilft dabei, den Wärmebedarf der Haushaltskunden und solcher Einrichtungen wie Krankenhäuser möglichst lange decken zu können. Wir sind in Deutschland ja ohnehin dabei, unsere Energieversorgungssysteme nachhaltiger und stärker auf Erneuerbaren basierend umzubauen. Damit werden wir uns dann auch weniger importabhängig machen.

Wie groß ist die derzeitige Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland?

Dr. Dietzler: Russland liefert aktuell mehr als 50 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases. In Süddeutschland stammt das Erdgas bislang nahezu vollständig aus russischen Quellen. Sollten Lieferungen aus Russland kurzfristig ausfallen, ist das dort eine große Herausforderung. Es gibt aber auch die Alternative Flüssigerdgas. In gewissem Umfang und abhängig von bestehenden Lieferverträgen besteht die Möglichkeit, zusätzliche Flüssigerdgas-Mengen zu beziehen. Die derzeit größten LNG-Anbieter sind Katar, Australien und auch die USA. Insbesondere dort sind viele Produzenten in der Lage, ihre Angebotsmenge kurzfristig auszuweiten, um auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Zu beachten ist allerdings, dass heute die dafür erforderliche Infrastruktur wie Tankschiffe und Terminals bei uns in Deutschland nur begrenzt vorhanden ist.

Kurzfristig scheint die Versorgung in den kommenden Wintern im europäischen Verbund auch ohne Russland irgendwie machbar, aber wie sieht die sichere Wärmeversorgung in der Zukunft aus?

Eimermacher: Auch ohne den russischen Überfall auf die Ukraine war klar, dass wir unabhängig von fossilen Energieträgern werden müssen. Stichwort Klimawandel. Deshalb müssen wir jetzt in Deutschland und vor Ort in Leverkusen die erneuerbaren Energien stark und zügig ausbauen. Mit sogenannten Quartierslösungen – der dezentralen Energieversorgung mehrerer Gebäudekomplexe –, können beispielsweise komplette neue Wohngebiete und -objekte mit Strom und Wärme versorgt werden und das auch nachhaltig. Im Zusammenspiel mit dem Müllheizkraftwerk der AVEA können wir ohnehin eine ressourcenschonende Wärmeversorgung anbieten und prüfen zurzeit den Ausbau der Fernwärmeversorgung. Wir sehen hier gute Potenziale. Langfristig wird dann auch der Hochlauf von Wasserstoff bedeutsam für eine diversifizierte Versorgungssicherheit sein.

Die lokale Energiewende in Leverkusen vorantreiben: Das wird die große Herausforderung für die EVL in den kommenden Jahren sein.

Neben der Frage, ob die Heizung warm bleibt, treibt viele Kundinnen und Kunden auch die Frage um, mit welchen Energiepreisen sie in Zukunft rechnen müssen. Was ist Ihre Prognose?

Eimermacher: Das, was wir zurzeit an den Energiebörsen erleben, hat es so noch nie gegeben. Die Preissteigerungen sind exorbitant. Bei der Wärme ist die Beschaffung für diesen Winter aber abgeschlossen, da wir – wie in den vergangenen Monaten häufig betont – eine langfristige Beschaffungsstrategie fahren und nicht kurzfristig einkaufen. Daher bleiben die Gas- und Wärmepreise auf kurze Sicht bis in den Herbst konstant. Beim Strom hat die Bundesregierung diese Woche die EEG-Umlage zum 1. Juli 2022 abgeschafft. Das bedeutet dann für die EVL-Bestandskunden eine Preissenkung zum Sommer, da der Einkauf der Strommengen für 2022 ebenfalls abgeschlossen ist. Im kommenden Winter folgt dann die nächste Preisrunde, bei denen weitere Senkungen mit Blick auf die derzeitigen Börsenpreise nicht realistisch erscheinen.

Langfristig sind genaue Prognosen zu diesem Zeitpunkt aber nicht möglich. Auch beim Gas nicht. Vor zwei Wochen hätten wir uns alle auch nicht vorstellen können, dass das Benzin täglich zehn Cent teurer wird. Aber natürlich ist der Krieg in der Ukraine insbesondere dann, wenn hierdurch weniger Gas aus Russland geliefert würde, ein Faktor, der den Gaspreis beeinflusst und erhöhen dürfte. Ebenso die Tatsache, dass wir alle in Deutschland in den kommenden Jahren die Energiewende finanzieren müssen.

Und wenn ich das als Privatkunde nicht mehr kann?

Eimermacher: So wie die Wärmewende keine ausschließlich lokal zu lösende Herausforderung ist, brauchen wir für diesen Fall eine Vorgabe aus Berlin. Die Bundesregierung muss im Bedarfsfall die einkommensschwachen Haushalte entlasten, Entscheidungen sind dazu ja auch schon getroffen worden. Ob die reichen, steht auf einem anderen Blatt. Vor Ort in Leverkusen haben wir nicht nur während der Corona-Jahre gezeigt, dass wir in Härtefällen mit individuellen Lösungen wie dem Aussetzen von Stromsperren oder Abschlagssenkungen und Ratenzahlungsvereinbarungen weiterhelfen können. Wir stehen dabei in engem Kontakt mit dem Jobcenter und der Verbraucherzentrale.

Mit Material vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW)