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Der EVL-Bienenflüsterer: Artenschutz vor der Haustüre

25.02.2022
Lesezeit: 8 min.

Stephan Eßer ist Kartograf bei der Energieversorgung Leverkusen GmbH & Co. KG (EVL). Seine zweite Berufung hat er vor 15 Jahren im Bau von Wildbienenhotels gefunden. Seitdem eilt ihm sein Ruf als Bienenflüsterer sogar bis ins Ausland voraus. Denn Artenvielfalt kennt keine Grenzen. Ein Interview.

Herr Eßer, Sie arbeiten als Kartograf für die EVL und sind sozusagen der Bienenflüsterer von Leverkusen. Gibt es Parallelen zu Ihrem Beruf und was haben Sie für dieses Jahr bei der EVL geplant?

Meine Ausbildung als Kartograf habe ich vor 43 Jahren begonnen. Ende der 80er bin ich dann als technischer Angestellter zur EVL gekommen. In meinem Ausbildungsberuf zählt ein exzellentes Augenmaß, eine ruhige Hand und sich Dinge visuell vorstellen zu können. Das kommt mir natürlich auch bei meinem Hobby und der Beobachtung der Wildbienen zugute. Wer die Tiere genau studiert, der weiß um ihre Bedürfnisse, kann darauf reagieren und seine Schlüsse auch zu deren Schutz ziehen. So beispielsweise für den Bau von Bruthilfen, die wir auch auf den EVL-Flächen einsetzen.

Und nachdem wir in den vergangenen zwei Jahren bereits sechs Insektenhotels auf verschiedenen Grundstücken installiert haben, kommen in diesem Jahr drei weitere hinzu, die durch unsere Mitarbeitenden gepflegt werden. Zudem planen wir die Anlage einer Blühfläche neben dem Eingangsbereich der Hauptverwaltung am Overfeldweg.

Wie sind Sie denn zu Ihrer sagen wir mal Berufung gekommen und was motiviert Sie daran?

Meine Schwiegereltern haben mir 2005 einen Lochlehmziegelstein als Bruthilfe für Wildbienen von der Landesgartenschau Leverkusen mitgebracht. Dieser war praktisch, aber optisch für mich nicht ansprechend. So habe ich verschiedene Insektenhotels aus Holz selber gebaut und nachdem ich von mehreren Nachbarn und Bekannten eine positive Rückmeldung dazu bekam, habe ich die Herstellung in den weiteren Jahren professionalisiert.

Meine Motivation dafür ziehe ich aus dem überaus positivem Feedback, das ich sowohl aus dem In- als auch Ausland von Privatpersonen, Firmen und Naturschutzorganisationen erhalte.

Wenn wir von der Arbeit mit Wildbienen sprechen, ist das Thema Artenvielfalt, die ja eine Ebene der Biodiversität ist, nicht weit. Welchen Wert hat die Biodiversität (noch) und wie schätzen Sie den aktuellen Status quo in Deutschland ein?

Biodiversität, also eine bunte Artenvielfalt von Flora und Fauna, ist absolut erstrebenswert und sollte die Grundlage von uns Menschen und allem Leben sein.

Fakt ist aber auch, dass durch die Massentierhaltung, den Anbau von Monokulturen und der fortschreitenden Urbanisierung jeden Tag der Lebensraum von Pflanzen und Tieren vernichtet wird. Alleine in Deutschland sind das im Mittel bei den versiegelten Flächen durch Straßen-, Parkplatz- oder Hausbau ca. 81 Fußballfelder am Tag. Das macht auf das Jahr gesehen ganze 92 km² aus.

Mit Blick auf die Artenvielfalt der Wildinsekten kann ich sagen, dass wir mittlerweile über 75 Prozent an Lebendmasse allein in den letzten 25 Jahren verloren haben. Das ist das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2017. Und wenn wir aufmerksam sind, macht sich das beispielsweise bereits bemerkbar. Wenn ich zum Beispiel an einem Sommertag mit dem Auto eine längere Strecke unterwegs bin, kann ich mich früher an eine Windschutzscheibe voll von verendeten Insekten erinnern – heute gibt es kaum „Einschläge“ auf selbiger.

Was müssen wir zukünftig ändern damit sich die aktuelle Lage bessert?

Als ich vor 17 Jahren begann, mich für den Insektenschutz zu engagieren, wurde ich als Exot belächelt oder es wurde mir mit Unverständnis begegnet. Das hat sich in wenigen Jahren grundlegend geändert. Heute ist Insektenschutz in aller „Munde“ und sogar die Politik ist auf die Problematik aufmerksam geworden. An den Schulen wird über das Thema gesprochen und die Leute sind durch die Printmedien, das Fernsehen, die sozialen Netzwerke und das World Wide Web über das Artensterben informiert.

Wichtig ist es, unseren Kindern beizubringen, dass auch Insekten/Wildbienen schützenswerte Tiere sind. Und dass wir unsere Stadtgärten für die Tiere attraktiver gestalten. Das heißt aber auch, dass diese nicht immer klinisch steril sind, sondern auch mal Laub oder Astwerk in einer Ecke liegt, damit sich dort Tiere verkriechen oder ihr Brutgeschäft verrichten können. Wenn das nicht möglich ist, sollten wir Ihnen Nistplätze anbieten.

Darüber hinaus muss vom frühen Frühjahr bis in den Herbst ein reichhaltiges Futtermenü angeboten werden. Es haben sich viele Firmen auf Pflanzen und Saatgut spezialisiert, die dafür infrage kommen. Außerdem eignen sich alle Arten von Gartenkräutern für ein reichhaltiges Büffet für Mensch und Tier. Monokulturen, auch im Garten oder mehrfach gefüllte „Prachtblüten“ bieten keine oder nur unzureichende Nahrung. Und auch das sollte bedacht werden: Je weiter die Futterpflanzen von den Nistplätzen entfernt sind, desto geringer ist die Brutleistung.

Ein erster Schritt zum Erhalt der Artenvielfalt ist unter anderem ja der Einsatz von Wildbienen-Hotels. Warum ist ausgerechnet der Schutz der Wildbienen für das ökologische Gleichgewicht so wichtig?

Das Problem, das Wildinsekten und gerade auch die Wildbiene haben, ist in unseren aufgeräumten und durchgestylten Stadtgärten noch das Loch oder den Spalt zu finden, den das Tier zur Eiablage benötigt. Denn der einzige Sinn der Wildbiene ist es beispielsweise, sich zu vermehren und die eigene Genetik weiter zu vererben.

Und es gibt eine ganz klare Aussage: Jede Blüte braucht einen Bestäuber, damit hier Obst und Samen wachsen. Die durch Tiere erbrachte Bestäuber-Leistung weltweit liegt zwischen 235 und 577 Milliarden US Dollar (Stand 2016). Und das Jahr für Jahr. Allein in Europa liegt die Bestäuber-Leistung der Wildinsekten in Deutschland bei circa 3,8 Milliarden Euro. Sie sind also sozusagen die Highperformer in der Branche. Aber alleine in NRW sind von den hier vorkommenden circa 360 Wildbienenarten, 45 ausgestorben und 129 Arten akut in ihrem Bestand gefährdet (Angaben aus 2012).

Da viele der ca. 575 verschiedenen Arten von Wildbienen auf der Liste der bedrohten Arten stehen, muss mehr für den Schutz der Tiere getan werden, um das ökologische Gleichgewicht beizubehalten – auch aus Eigennutz. Denn gibt es weniger Ertrag, dann steigen auch die Preise für Nahrungsmittel und weltweit gibt es Verteilungskämpfe. Das sehen wir beispielsweise bereits schon teilweise beim Thema Wasserknappheit.

Im Grunde ist der Einsatz eines solchen Hotels ja etwas, den jeder Einzelne von uns realisieren kann. Was sollten Wildbienen-Hoteliers beachten, um „Erfolg“ zu haben?

Die Bruthilfen sollten einen geschützten, sonnigen Platz haben. Ausgerichtet nach Osten, Süden oder Westen, da die Wärme die Tiere ausbrütet und das Mutterinsekt keine Brutpflege betreibt. Und daher sollte der Standort ein sonniger sein, der aber auch einige Schattenstunden am Tag vertragen kann. Die Einflugschneise muss frei von Ast- oder Blattwerk sein, da die Tiere ihr Brutloch viele Male anfliegen müssen und sonst irritiert wären. Außerdem darf die Bruthilfe sich nicht im Wind bewegen.

Wichtig ist zudem keine Angst vor zum Beispiel Wildbienen zu haben. Diese Tiere leben solitär. Sind also als Einzelgänger unterwegs und nur für sich und ihre Brut verantwortlich. Sie schützen keinen Staat und müssen diesen daher auch nicht verteidigen oder ernähren. Somit werden uns die Tiere auch nicht lästig, fliegen nicht in unsere Getränke oder versuchen an unser Essen zu kommen. Außerdem „greifen“ sie uns nicht an, um ihr Nest zu schützen. Also ist ein Standort durchaus auch auf Balkon oder Terrasse unmittelbar neben uns Menschen geeignet, um den Tieren eine Möglichkeit für die Vermehrung zu schaffen. Darüber hinaus bietet ein Insektenhotel spannende Naturbeobachtung von den ersten sonnigen und wärmenden Tagen im März bis in den September. Denn unterschiedliche Wildbienenarten brüten auch zu unterschiedlichen Zeiten.

Bereits sechs Wildbienenhotels hat die EVL gemeinsam mit Stephan Eßer installiert. Drei weitere folgen in 2022.

Gibt es neben Ihrer Berufung weitere Ansätze in Sachen Artenschutz, die Sie verfolgen und was können Sie davon Menschen empfehlen, die vielleicht keine Überzeugungstäter sind, so wie Sie?

Grundsätzlich sage ich immer: Jeder noch so kleine Schritt in die richtige Richtung zählt, aber es gibt durchaus weitere Ansätze, die nützlich sind. Ich arbeite gerade zum Beispiel mit einem Umweltingenieur und dem NABU Baden-Württemberg für das Projekt „Pro Planet“. Dieses Label steht bei verschiedenen Super- und Baumärkten für Produkte, die ökologisch und nachhaltig produziert werden. Dafür sollen Bauern überzeugt werden, unter anderem mit natürlichen Fressfeinden Schädlinge zu bekämpfen, um Nahrung beziehungsweise Produkte dieser mit diesem Label zu produzieren. Und hier komme ich „ins Spiel“, da ich auch Überwinterungshilfen für Florfliegen und Marienkäfer baue, die die natürlichen Feinde von zum Beispiel Blattläusen sind.

Wer also auch in seinem eigenen Garten ohne Schädlingsbekämpfungsmittel auskommen möchte, kann auch hier mittels einem solchen Kasten die Tiere ansiedeln. Oder aber das ein oder andere an Laub und Ästen nicht wegräumen, sondern liegen lassen. Denn auch hier siedeln sich diese Tiere an. Und das kostet dann keinen Cent.

Wir danken Stephan Eßer herzlich für das interessante Gespräch und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg für seine zweite Berufung.